Amtshilfe (III): Weitere Grundsätze ignoriert?

15. Jun 2007, 5:14 PM (Frank Hunck) ♥ Brave new world, Politik · Translation: en fr

Umfassendere Informationen zum Thema »Tornados im Inlandseinsatz« finden sich beim Spiegelfechter – Wenn Satire Wirklichkeit wird.

Dort wird auf einen sehr interessanten Artikel von Etienne Rheindahlen verwiesen, der sich mit eher technischen Fragen auseinandersetzt, »Verstoß gegen militärisches Luftrecht«.

Demzufolge sähe es so aus, dass beim Überfliegen des Camps Reddelich die für Friedenszeiten vorgesehene Mindestflughöhe deutlich unterschritten worden wäre:

[…]Laut Auskunft des BMVg führten beide “Tornados” ihre Mission – offenbar auftrags- und flugplangemäß – in der für militärische Strahlflugzeuge vorgeschriebenen Mindestflughöhe von 150 Metern (500 ft) durch.

Nach von SpOn zitierten Augenzeugenberichten überflogen die Kampfflugzeuge das Camp so tief, “daß man die Nieten sehen konnte”. Im Camp Reddelich dürfte sich zum Überflugzeitpunkt eine Menschenansammlung von mindestens eintausend, vermutlich mehreren tausend Personen befunden haben. Gemäß â€œMilitärischen Luftfahrthandbuch Deutschland” […] heisst es unter “Sicherheitsbestimmungen” im Text: “Das Überfliegen von Zuschauern ist verboten.” Weiter sind die Sicherheitsabstände definiert: “Beim Fliegen…bei Geschwindkeiten unter 300 kn (Anm.: = ca. 540 km/h) muß…(das Luftfahrzeug) jederzeit einen Abstand von 220m zur ersten Zuschauerreihe aufweisen”. Bei Geschwindkeiten über 300 Knoten erhöht sich der Sicherheitsabstand auf 550 Meter.

Die Vorschrift aus der AIP-MIL bezieht sich zwar auf Flugvorführungen von Bundeswehr-Kampfjets bei Flug-Shows und Flugtagen – sie deutet aber die Mindest-Sicherheitsstandards für den Tiefflug in der Nähe von Personenansammlungen an.[…]

Wenn das stimmen sollte, dann wirds langsam — ungemütlich. Befand sich die Bundesrebublik denn im Ausnahmezustand? Dieser kann aber nicht von unteren Chargen unter Umgehung der parlamentarischen Entscheidungsträger herbeigeredet werden, nehme ich mal an.

Weitere Details aus dem Beitrag: Der Einsatz der Tornados war anscheinend nach Aussagen der Einsatzleitung notwendig, um »in verschiedenen Geländestreifen Veränderungen der Bodenbeschaffenheit und Manipulationen an wichtigen Straßenabschnitten durch einen Vergleich des Bildmaterials zu erkennen«. Dies wäre aber auch durch den Einsatz von entsprechend ausgerüsteten Polizeihubschraubern möglich gewesen (von denen anscheinend zwei in Rostock-Laage stationiert sind).

Falls diese Angaben stimmen sollten, dann gibt es meines Erachtens nur einen Grund für den Tornado-Einsatz — den Test des politisch Machbaren. Und das wäre unglaublich.

Update 16.6.07: SpOn über die Forderung der SPD nach Auswertung der Tornado-Aufklärungs-Photos.
Rechtliche Würdigung des Einsatzes oder der Amtshilfe auf Clausewitz2:

Das Grundgesetz ermöglicht drei Varianten des Bundeswehreinsatzes im Inland. Die beiden ersten, der Einsatz im Verteidigungsfall (Art. 87a III GG) und die Bekämpfung von Aufständischen im Bürgerkrieg (Art. 87a IV GG) sind hier nicht einschlägig. Fraglich ist, ob es sich um die dritte Einsatzmöglichkeit, den Katastrophennotstand gem. Art. 35 II, III GG gehandelt hat.
[…]
Da, wie bereits ausgeführt, m.E. eine Amtshilfe i.S. des Abs. 1 nicht gegeben war, ist jetzt zu klären, ob die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 2 in beim G 8-Gipfel erfüllt waren (eine Bundesintervention gem. Abs. 3 hat nicht vorgelegen). Hier sind zwei alternative Tatbestandsvoraussetzungen wichtig: es muß entweder eine Naturkatastrophe oder ein besonders schwerer Unglücksfall eingetreten sein oder akut gedroht haben. Ersteres war hier unstreitig nicht der Fall.[…]

Der Autor kommt zu der Einschätzung: »Wenn die Bundesrepublik Deutschland allerdings Wert auf ihre Rechtsstaatlichkeit legt, dann müssen solche Einsätze auf einer einwandfreien verfassungsrechtlichen Grundlage stehen[.]« und hofft darauf, dass solch ein Einsatz nun endlich verfassungsmässig erlaubt werden wird.

Das hoffe ich denn grade mal nicht – es hat seine geschichtliche abgeleitete Begründung, warum eine Trennung zwischen Polizei (innere Sicherheit) und Streitkräften (äussere Sicherheit) sinnvoll ist…

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1 Kommentar abgegeben zu “Amtshilfe (III): Weitere Grundsätze ignoriert?”

  1. Etienne Rheindahlen schrieb:

    Jung will’s wissen: weil die SPD in Sachen »Tornado«-Fotosession über dem Anti-G 8-Camp in Reddelich jetzt den Nachbrenner eingeschaltet hat, ordnete der CDU-Minister jetzt eine »detaillierte Untersuchung« an.
    Wahre Aufklärung über die »Aufklärer« oder doch nur Ausstieg per Schleudersitz, bevor der Dienstherr der Bundeswehr unsanft auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eine Bruchlandung erlebt?

    http://etiennerheindahlen.wordpress.com/2007/06/16/schnappschusse-vom-camp-tornado-fotosession-soll-aufgeklart-werden

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