»Wer eine Reise tut, der hat was zu erzählen« – Sommerkonzerte 2008 auf der Blomenburg
07. Aug 2008, 11:08 AM (Frank Hunck) ♥ Selent, Kultur · Translation:
Gestern war ich bei einem musikalisch untermalten Vortrag auf der Blomenburg, dem außer mir rund fünfzig ZuschauerInnen lauschten. Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), zu Unrecht vergessener Lyriker, Schriftsteller und Herausgeber von Zeitschriften wie Die neue Bühne, Pan oder Die Insel, verfasste um die Jahrhundertwende die erste in Deutschland erschienene Beschreibung einer Reise nach Italien – »Eine empfindsame Reise im Automobil«.
Wir durften ihn gestern auf seinem Weg von Berlin über Prag, Salzburg, den Brenner bis hin nach Neapel begleiten, seine Wandlung vom engstirnigen Preussen hin zum empfindsamen Genießer miterleben. Armin Diederichsen (Opernregisseur, Dramaturg, Schauspieler) brachte einen Teil des Werkes lebhaft zur Geltung, die mit spitzer Feder nicht nur das (damals noch außergewöhnliche) Reisen mit dem Auto beschrieb, sondern menschliche Begebenheiten am Rande feinsinnig beobachtete. Nur eine Kostprobe aus Bierbaums florentiner Brief vom 29. Mai 1902:
Die abscheuliche Art, mit der hier Werke der Kunst durch Erzeugnisse der Klempnerei verunstaltet werden, sobald sie nackte männliche Figuren darstellen. Man sagt, daß dieser Feigenblätterunfug auf die Verschämlichkeit der Engländerinnen zurückgehe, die erklärt hätten, keinen Fuß in eine Stadt zu setzen, auf deren öffentlichen Plätzen unbekleidete männliche Statuen zu sehen seinen.
Ich für meinen Teil finde es bedauerlich, daß man diese Gelegenheit, jene Engländerinnen auf gute Weise los zu werden, nicht benutzt hat, denn ihre Anwesenheit steigert durchaus nicht den Genuß der Kunstwerke, über die sie in unerträglich lauter Manier ihre oder Herrn Bädekers Meinungen zu äußern pflegen, wobei die Gurgellaute des Englischen das Ganze noch besonders verscheußlichen.
Wer das Buch lesen will – käuflich ist es nicht mehr zu erhalten, aber dank des Projektes Gutenberg kann mensch es sich im Internet besorgen.
Wagners Salonensemble untermalte den Vortrag durch passende Stücke, die die jeweiligen Stationen der Reise musikalisch zur Geltung brachten.
Mich hat fasziniert, wie sich Bierbaum ganz zu Beginn des automobilen Reisens seinen gewünschten Reisewagen ausmalte:
ich aber leistete nicht weniger Phantastisches in der Schilderung des Wagens, der uns bald mit der Geschwindigkeit eines Expreßzuges, bald im Postwagentempo von Thurn und Taxis, vorwärts bringen sollte. Eigentlich war es ein ganzes Gebäude auf Pneumatics, das ich mir vorstellte, mit allem Komfort eines Pullman-Car oder der berühmten »Wurst« Friedrichs von Gentz ausgestattet, nur noch viel bequemer und geräumiger, – kurz: ein Ideal mit achtundvierzig Pferdekräften. (aus dem 1. Kapitel)
Er musste dann leider mit einem einzylindrigen Adler-Coupé mit acht Pferdekräften vorlieb nehmen, denn sein Wunschgefährt gab es damals noch nicht. Die Fahrwerkehersteller dieser Zeit hatten eher den sportsman als Käufer im Auge, das Gefährt mußte hohe Geschwindigkeiten leisten können, zum Reisen war es noch nicht gedacht. Gab es doch nicht mal einen Kofferraum, nur ein kleines Ablagebrett, worauf nicht mal eine Hutschachtel sicher Platz gefunden hätte…
Die Veranstaltung lief in der Reihe »Blomenburger Sommerkonzerte 2008″, die von Martin Karl-Wagner, einem Eutiner Musikveranstalter und Musiker projektiert und angeboten werden. Klassik, einmal anders dargeboten, würde ich die Reihe umschreiben, denn Wagners Veranstaltungen zeichnen sich durch amüsante und kurzweilige Moderationen aus, die auch eher klassikfernen Musikinteressierten viel Vergnügen bereiten. Jeden Mittwoch um 20 Uhr findet in den Sommermonaten Konzerte statt, Vorverkauf der Karten in Selent in »Karins Stöberlädchen« oder Abendkasse ab 19.30 Uhr. Nebenbei, für diese Veranstaltungsreihe stellt die Blomenburg ihre Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung…
Am Rande erfuhr ich noch kleine Begebenheiten rund um die Burg: Die letzt-sonntägliche Hochzeitsgesellschaft hatte buchstäblich »Schwein« – während sie sich vormittags im Burggarten aufhielten, gesellte sich ein Hausschwein zu ihnen, das sich als sehr zutraulich und, leider, sehr intelligent erwies. Alle Versuche, es mit Äpfeln zu fangen, mussten scheitern. Das Tier wollte wohl die angebotenen Gaben, schnappte sich jedoch die Äpfel vorwitzig aus dem Seilkreis, schneller als mensch am Seilende hätte ziehen können. Gefressen wurde in sicherer Entfernung… Irgendwann war dies Sonntagsvergnügen dann zu Ende und es konnte seinem Besitzer zurückgebracht werden.
Wer aber immer noch in freier Wildbahn weilt, ist »Otto«, der Pfauenhahn, der seinen beiden Hennen entkommen ist. Wurden sie ihm zu viel?
Also, Spaziergänger im Blomenburg-Park – hört ihr irgendwann in der nächsten Zeit ein heiseres Krächzen oder seht ein schillerndes Rad zwischen den Büschen aufscheinen – schnell zum Handy gegriffen und auf der Blomenburg angerufen, damit sich die Häscher auf den Weg machen können!
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